In Frankreich betonen Regierungen und Repräsentanten der Agrarindustrie die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Landwirtschaft und besonders der Fleischindustrie. Im Jahr 2012 wurden in Deutschland ungefähr 58 Millionen Schweine, mehr als drei Millionen Rinder und 628 Millionen Hühner geschlachtet[1]. Die deutsche Fleischindustrie ist so effizient, dass Deutschland Europas Schlachthaus ist und auf dem Weg, der größte Fleischexporteur der Welt zu werden. Den Preis dafür zahlen viele ArbeitnehmerInnen, vor allem aus Osteuropa, denn das lockere europäische Arbeitnehmer-Entsendegesetz erlaubt Missbrauch durch dubiose Subunternehmer.
Das Anliegen von La Confédération Paysanne ist, die damit (in der Bundesrepublik) zusammen hängenden sozialen und ökologischen Realitäten aufzuzeigen. Ich möchte während meines Aufenthaltes von den wirklichen Arbeitsbedingungen der migrantischen Landarbeiter und der Situation der bäuerlichen Landwirtschaft berichten und recherchiere dafür.
Meine Mission in der BRD ist dabei Teil eines seit bald zehn Jahren von La Confédération Paysanne gepflegten internationalen Arbeitsprogramms über migrantische Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Dieses beruht auf Austausch, Treffen und Fortbildung von Landwirten und Saisonarbeitern in der Landwirtschaft. La Confédération Paysanne hat dafür in den verschiedenen Ländern Partner (Gruppen oder Personen) gefunden. Konkret hat La Confédération Paysanne seit 2006 dutzende von Freiwilligen mit Rechercheaufträgen in viele Länder Europas aber auch in Mittelmeeranrainerländer wie z. B. Marokko und Palästina entsandt.
Das über die reine Dokumentation hinaus gehende Ziel der Recherche und Forschung ist, ein europaweites Verteidigungsnetz für die bäuerliche Landwirtschaft und die migrantischen LandarbeiterInnen zu bilden. Dieses soll helfen, vielfältige Infos über die Lage migrantischer ArbeiterInnen in der Landwirtschaft und in der Ernährungsindustrie zu sammeln und auch Informationen über grundlegende Rechte migrantischer ArbeiterInnen international und in verschiedenen Sprachen verfügbar zu machen.
Deutschland, Europas führender Agribusiness-Staat, wird zunehmend für die sozialen und ökologischen Kosten des wirtschaftlichen Erfolgs kritisiert. In den Monaten nach meiner Ankunft in Niedersachsen konnte ich die verheerenden Auswirkungen seines Treibens sehen. Seit Jahren leiden Tausende von entsandten ArbeitnehmerInnen unter ihrem Missbrauch durch skrupellose Subunternehmern. Im Rahmen von “Dienstleistungsaufträgen” vermieten Sie migrantische ArbeiterInnen an große Unternehmensgruppen wie Tönnies, Danish Crown, Heidemark und Vion. Diese Verträge erlauben das deutsche Arbeitsrecht zu umgehen und Löhne und Arbeitsstandards (z. B. Arbeitszeit- und Urlaubsregeln oder zum Schutz bei Krankheit) drastisch zu reduzieren. Dies schafft ein echtes Problem: unfaire Wettbewerbsvorteile der in Deutschland produzierenden Unternehmen.
Darüber hinaus erleiden die Mitarbeiter Schaden. Diese Vertragsarbeiter kommen meistens aus Osteuropa (Rumänien, Polen, Bulgarien) und erleiden tägliche Belastungen. Sie sind bereit, Lebens- und Arbeitsbedingungen, die der Sklaverei nah sind, zu akzeptieren, denn sie haben Angst ihren Arbeitsplatz zu verlieren und ohne Geld nach Hause zurückzukehren. Diese Menschen wissen wenig darüber, auf welche Arbeitsbedingungen sie hier einen Anspruch haben. Sie verlassen ihre Heimatländer aus der Not und sie sind bereit viele Zumutungen zu akzeptieren. Viele beklagen sich nicht, meist weil sie Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren. Und Sie wurden häufig mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt – von Vermittlungsagenturen oder direkt von Arbeitgebern. Dabei werden auch ihre fehlenden Sprachkenntnisse eiskalt ausgenutzt.
Fast alle Schlachthöfe vergeben heutzutage ihre Kerntätigkeiten, das Schlachten, Zerlegen und ggf. die Weiterverarbeiten über Werkverträge an eine größere oder kleinere Zahl von Subunternehmen. Diese wiederum vergeben die Arbeiten teils an weitere Subunternehmer, diese möglicherweise noch einmal an weitere Subunternehmer. Am unteren Ende der undurchsichtigen Kette stehen einsam die Fleischarbeiter, die die Ausgebeuteten sind: Sie arbeiten in der Fleischindustrie zum Teil 14 bis 16 Stunden am Tag zu einem geringen Lohn und wohnen manchmal mit 15 Personen in einer Vier-Zimmer-Wohnung, z. B. in Ahlhorn für 200 oder mehr Euro pro Monat. Außerdem zahlen sie Abgaben an den Subunternehmer für den Transport zur Arbeit. Manchmal kassiert der Subunternehmer auch noch Geld für Werkzeug und Arbeitskleidung.
“In Lettland habe ich eine Anzeige gesehen um in Deutschland zu arbeiten. Ich sollte 1000 € zur Subunternehmer bezahlen. Im Schlachthof, wo ich gearbeitet habe, arbeitete ich zwischen 12 und 14 Stunde am Tag aber es gab viele Stunden, meistens wenn ich am Nacht gearbeitet habe, die nicht bezahlt wurden. Wir haben zur 4 in einer Personen Wohnung gewohnt, dafür sollte ich 185 € pro Monat zur Subunternehmer bezahlen. Wenn ich den Job verloren habe, sollte ich gleich weg von dieser Wohnung”.
(Ehemalige Mitarbeiterin im Schlachthof)
“Ich habe bei dem Betrieb x gearbeitet. Das schlimmste davon war folgendes: Zum Beispiel, wir haben den Arbeit dort um 4 Uhr Morgens angefangen. Um 4 Uhr standen wir schon in der Reihe und haben unsere Pflicht erfüllt. Aber manchmal, das passierte oft, dass wir in dieser Reihe bis zu 5 oder 7 Uhr standen, weil zum Beispiel es irgendwas mit dem Fliessband oder mit den Geräten gab, und irgendwelche Reparierungen kamen davon. Wir wurden nie befreit oder nach Hause geschickt, wir mussten warten bis sie alles wieder zu Ordnung bringen. Zum Beispiel, wenn Reparierung dauert eine oder zwei Stunde und wenn das zum Beispiel um 4 oder um 3 Uhr Nachmittags passiert, haben wir einfach 2 oder 3 Stunde gewartet, einfach so, kein Sinn obwohl wir hatten schon kein Essen, weil wir hatten zum Beispiel schon um 11 Uhr während unsere Mittagspause alles gegessen. Wir hatten nichts, aber wir mussten warten bis alles in Ordnung gebracht wurde und wir mussten in der Reihe stellen und arbeiten bis 19 Uhr oder noch später. Es passierte ungefähr einmal in der Woche. Und Lohn war so niedrig… (…) Wir wussten einfach nicht welche Preise existieren als wir angestellt waren, einfach so haben sie uns Preis genannt, und wir haben auch am Samstag gearbeitet, fast immer… Irgendwie, es war richtiges… Wie heißt man das? Sklaverei! Einfach so… Ganzen tägliche Tag wir haben täglich nie Licht gesehn, wir waren immer da drin. Von Dunkelheit bis Dunkelheit! Und Samstag auch… Es war schrecklich… (…)“
(Ehemalige Mitarbeiterin im Schlachthof)
Werkvertragsvergabe geschieht häufig nur deshalb, weil sich der Schlachthof selber auf diese Weise aus der Sozialverantwortung stehlen kann. Das heißt, er übergibt die komplette Sorge um das Personal an jemand anderen ab und kann seine Hände in Unschuld waschen.
Man muss auch sagen, dass die Arbeit im Schlachthof die Leute körperlich kaputt macht und sie ihre Ansprüche auf soziale Unterstützung nicht kennen. Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitsunfall führen auch sehr häufig zu Kündigungen und dann zur Ausreise.
“Die Maschinen waren so schlecht, dass manchmal fast alle Produkte an uns zurückkamen. So hatten wir doppelte Arbeit am Tag zu tun. Wir sollten schwere Lasten von Fleisch tragen und mit sehr schneller Geschwindigkeit! Wir sollten manchmal 20 Kilos oder mehr tragen. Ich habe alles mechanisch und schnell gemacht, ich fühlte nicht die Schmerzen an der Zeit, es kam später (…) Also dann bin ich krank geworden (…) Zwei Jahre lang war ich ans Bett gefesselt, ich konnte mich kaum bewegen. Im Heimatland hatte ich noch nie so eine körperliche Arbeit geleistet, es war neu für mich und ich war nicht dafür vorbereitet (…) Wenn die Maschinen ganz normal funktioniert hätten, und dass ich in mit einem normalen Tempo gearbeitet hätte, wäre alles sicher besser passiert werden…”
(Ehemalige Mitarbeiterin im Schlachthof)
Große Hoffnungen setzen viele in den ab 1. 7. 2014 geltenden Mindestlohntarif von 7,75 Euro für die Fleischbranche. Dieser Lohn wird im Wege der Aufnahme in das Entsendegesetz und seine daraus folgende Allgemeinverbindlichkeit für alle gelten, also auch für die migrantischen ArbeitnehmerInnen. Dieser Lohn aber bleibt unzureichend, solange nicht die Probleme der unbezahlten Überstunden, der schlechten Wohnverhältnisse und der sonstigen Lohnabzüge (z. B. für die vielen willkürlichen Arbeitsvertrags-Strafen) gelöst werden.
Auch in der Landwirtschaft erhalten Saisonarbeiter häufig einen unfassbar geringen Lohn. Sie kommen nach Deutschland meist für zwei Monate (sozialversicherungsfreie Verträge) und arbeiten sechs oder sieben Tage pro Woche, zehn bis zwölf Stunden pro Tag und verdienen ein Gehalt von vier bis fünf Euro pro Stunde. Sie wohnen in Containern auf dem Feld – zwischen zu zweit und zu viert in einem Zimmer. Ich habe einen Saisonarbeiter aus Rumänien getroffen, dem am Anfang 7,20 Euro/Stunde brutto versprochen wurden. Am Ende hat er manchmal nur 1,34 Euro/Stunde netto bekommen. Die Gründe hierfür sind die Akkordabrechnung und die nicht bezahlten Überstunden. Er hatte darüber hinaus keine Kontrolle über seine Arbeitsgeschwindigkeit, weil er am Fließband gearbeitet hatte. Er hat sich bei der Leitung beklagt, aber sie haben einfach geantwortet: „Wenn du damit nicht zufrieden bist, geh zurück nach Hause.“ Er hat alle gearbeiteten Stunden aufgeschrieben, aber die Lohnabrechnung stimmte nie überein mit dem was er aufgeschrieben hat. Er hat auch dazu gesagt, dass Leute auch schwarz arbeiten.
Als Reaktion auf die verschiedenen Skandale in der Presse über das entrechtete Leben und das Arbeiten von Wanderarbeitern in der Landwirtschaft und der Ernährungsindustrie wurden in Niedersachsen zwei Beratungsstellen für ost- und südeuropäische ArbeiterInnen geschaffen, eine davon in Oldenburg als mobile Beratungsstelle. Sechs Beratungsstellen existieren bereits auf nationaler Ebene über das Programm Faire Mobilität, getragen unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund, finanziert auch aus Mitteln der Europäischen Union.
Aber die Besonderheit der Oldenburger Beratungsstelle ist es mobil zu sein. In der Tat, die meisten Wanderarbeiter haben keine Autos und nicht die Möglichkeit, sich z. B. nach Oldenburg zur Beratung zu bewegen.
Die Beratungsstelle arbeitet gemeinsam mit anderen Institutionen wie der Polizei, dem Zoll und anderen öffentlichen Behörden, um durch gemeinsame Arbeit und Anstrengungen effektiver zu werden. Diese neue Initiative ist ein Fortschritt im Bemühen um den Schutz der Rechte der Arbeitnehmer, aber sie ist nicht ausreichend. Gesundheitskontrollen hinsichtlich der Wohnverhältnisse und Zollkontrollen bezüglich der Einhaltung von Arbeitsbedingungen in den Betrieben sollen verstärken werden, um den radikalsten Varianten der Ausbeutung bei Subunternehmern entgegen zu treten.
Die Arbeitnehmer-Entsende-Richtlinie von 1996 muss auch reformiert werden um die sozialen Rechte der entsandten Arbeitnehmer zu unterstützen und damit dem Betrug auf Grundlage der Arbeitnehmer-Entsende-Richtlinie ein Ende zu setzen.
Ein Zwischenfazit ist: Die Macht des Portemonnaies sollte auch benutzt werden und wir sollten uns alle als Verbraucher verantwortlich fühlen für die Arbeitsbedingungen in der Ernährungsindustrie und Landwirtschaft.