Auf der Suche nach einem besseren Leben – Fotografieren Wanderarbeiter

Wanderarbeiter in der Modernen: sie zerlegen unser Fleisch, sie kümmern sich um unsere ältere Generation, sie pflücken auf unseren Feldern und errichten unsere Häuser. Aus der Provinz in die Metropolen, aus Bulgarien, Polen oder Rumänien nach Deutschland: Sie verlassen ihre Heimat mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Eine Ausstellung im Hamburger Museum für Arbeit zeigte vom 15. November 2013 bis 2. März 2014 in mehreren Bildserien, wie ihr Leben aussieht.

Neun Fotografen haben unterschiedliche Formen der Wanderarbeit in China, Thailand und Europa in den letzten 50 Jahre vorgestellt. Die «Cargonauten» werden von Oliver Tjaden dargestellt, die für den weltweiten Containerhandel,  als Hauspersonal auf Containerschiffen arbeiten. Hans Rudolf Uthoff und Henning Christoph haben die türkischen Gastarbeite, die für die Zechen und Stahlwerkbetriebe angeheuert wurden, in den 60’er-80’Jahren fotografiert.

Wolfgang Müller  stellt in «Mingong – die Suche nach dem Glück» die Wanderarbeiter (Mingong) in China vor. Der gesamte Wirtschaftsboom Chinas baut auf diesen Wanderarbeitern auf.  Die Arbeiter kommen aus den armen ländlichen Regionen des Landes in die Industriezentren wie Shanghai und Shenzhen und übernehmem dort die gefährlichsten Jobs.  Hierbei legt er auch verstärkt einen Fokus auf die Prostitution junger Mädchen in Dongguan.

Ingmar Knaus porträtiert die osteuropäischen Erntehelfer, von denen jedes Jahr mehr als 300.000 nach Deutschland kommen. Die Saison beginnt im April mit der Spargelernte, geht weiter mit Erbeeren, Äpfeln und Salat und endet im Herbst mit der Weinlese. Sie leisten täglich körperlich anstrengende Arbeit, leben in Massenunterkünften und werden meistens nach Akkord bezahlt. Das in Deutschland erwirtschaftete Geld muss oft für sie und ihre Familie das ganze Jahr über reichen.

In seiner Bildserien «Wanderer zwischen den Welten» poträtiert Mauricio Bustamente, freier Fotograf in Hamburg und Mitarbeiter des Straßenmagazins „Hinz & Kunzt“,  die rumänischen und bulgarischen Arbeiter in Hamburg. Sie können seine Bilder HIER sehen.

Moldavien: Eine verlassene Generation

Andrea Diefenbach beschreibt in ihrer Serie »Land ohne Eltern« die Lebenssituation von Arbeitsmigranten aus Moldawien und deren zurück gelassenen Kinder. Ihre Fotografien zeigen den starken Kontrast der Hingabe und der Zwangstrennung der Eltern und derer Kinder, sie verdeutlichen geradezu schmerzhaft die Distanz zwischen zwei räumlich voneinander getrennten Welten: die der in der Heimat zurückgelassenen Kinder und der Eltern in der Ferne. Die Kinder kennen ihre Eltern quasi nur noch vom Telefon und von Fotos.

„Als ich im April 2008 in der ersten Klasse der Schule eines kleinen Dorfes im Südosten der Republik Moldau war, in der die Lehrerin fragte, ›Wessen Eltern leben in Italien? ‹ und etwa zwei Drittel der Kinder mit einer Mischung aus Stolz und Verlegenheit aufzeigten, war ich erschrocken. Es ist etwas völlig anderes, all die Statistiken über Arbeitsmigranten und Rücküberweisungen zu lesen, als in einem kalten Klassenraum vor 30 Sechsjährigen mit Wollmützen zu stehen und zu wissen, diese Kinder haben ihre Eltern oft seit Jahren nicht gesehen…“

Andrea Diefenbach

Moldawien ist eines der ärmsten Länder in Europa mit einer Arbeitslosenquote von 80%. Von seinen vier Millionen Einwohnern leben eine Million Menschen außerhalb des Landes. Sie haben keine andere Wahl, als im Ausland zu arbeiten, oft illegal, um zu versuchen Geld an ihre Familien zu schicken und damit ihre Abwesenheit zu kompensieren. Niemand verlässt freiwillig seine Kinder, die Entscheidung ist schwierig, aber oft unumgänglich: Familien, die jemanden im Ausland haben, die kommen besser davon als andere. Doch diese Kinder verlieren allmählich das Konzept der Familie und werden oft ihrer Kindheit beraubt. Außerdem ist es nicht einfach einzuwandern, oft müssen sie Tausende von Euro zahlen, um die Schengen-Festung mit Hilfe von Schmugglern zu überqueren, die ihnen falsche Visa besorgen. Sie leihen sich Geld, um diesen Betrag zu bezahlen und sind dann gezwungen im Ausland zu bleiben, um den Kredit mit sehr hohen Zinsen zurückzuzahlen.

Laut dem Zentrum für Information und Dokumentation über die Rechte des Kindes von Moldawien, wächst die Zahl der Kinder ohne elterliche Fürsorge kontinuierlich: Während es im Jahr 2006 94.000 Kinder gab mit mindestens einem Elternteil im Ausland waren es im Jahr 2009 geschätz 135.000. Einige werden den Großeltern anvertraut, andere bleiben hingegen allein. Das moldawische Ministerium für Arbeit, als auch UNICEF, schätzen die Zahl der Kinder von Migranten auf 200.000, die in der Obhut der Großeltern auf dem Land gelassen werden. Mehr als 70% der rund 14.000 Kinder in moldawischen Waisenhäusern haben eigentlich Eltern und sind so genannte “Sozialwaisen”. Soziologen glauben, dass dies zu depressiven Syndromen und Aussteiger führt[1].

Die Arbeit von Andrea Diefenbach wurde vom Dokumentarfotografie Förderpreis der Wüstenrot Stiftung sowie vom Grenzgänger Programm der Robert Bosch Stiftung gefördert und erhielt den “n-ost Reportagepreis 2012″, den “Abisag Tüllmann Preis 2013″ sowie Ehrenvolle Erwähnungen beim “Unicef Foto des Jahres 2012″ sowie beim “Medienpreis der Kindernothilfe 2013″.

Um mehr über Diefenbachs Arbeit zu erfahren oder um das Buch zu bestellen, HIER clicken.

 «Sie erscheinen nie gleichzeitig. Entweder kommt nur Papa, oder nur Mama. Papa kommt nur zu Weihnachten und Mama nur zu Ostern. Zu meinem Geburstag, am 1.Juli, ist nur Papa gekommen. Papa kommt nur freitags. Mama erscheint gerne sonntags. Nie erscheinen sie zusammen und gleichzeitig. Immer kommen sie getrennt, um sich nicht zu begegnen.

Sie bleiben nicht lange. Sie langweilen sich schnell bei uns, beginnen zu gähnen und hören uns nicht mehr zu.

Am letzten Tag, wenn sie wieder packen, verwandeln sie sich und werden sehr aufmerksam, nehmen uns in die Arme und küssen uns. Nicht nur mich, sondern auch meine zwei kleineren Brüder. Papa geht weg, und ich sehe ihn ein halbes Jahr oder länger nicht mehr. Mama geht weg, und ich sehe sie jahrelang nicht mehr.

Vor etwa sechs Jahren sind sie zusammen nach Rom gefahren. In Rom liessen sie sich scheiden. Jetzt hat Mama einen italienischen Ehemann. Sie hat den Sohn des Italieners geheiratet, den sie pflegte, und Papa blieb alleine.

Es ist eine Woche her, dass Oma gestorben ist, und wir sind alleine geblieben. Zum ersten Mal sind sie zusammen und gleichzeitig gekommen. Aber sie sind getrennt weggefahren. Zuerst Papa, dann ging Mama weg. Jetzt wohnen wir bei einer Tante und warten, dass sie zurückkommen. Wer wird wohl zuerts kommen?»

Ein Kind aus Moladawien erzählt aus seinem Leben ohne Eltern (Dumitru Crudu)

Bilder aus dem Buch “Land ohne Eltern” von Andrea Diefenbach

Aliona_Melonen

Wanjas erster Versuch nach Italien zu kommen war vor sieben Jahren. Er hat 1000 Euro an einen Mann gezahlt, der dann verschwunden ist. Beim zweiten Versuch hat er 3000,- gezahlt und war 3 Wochen unterwegs. An der österreichischen Grenze wurde die ganze Gruppe gefasst und wieder nach Hause geschickt. Anschließend hat er ein neunmonatiges Arbeitsvisum bekommen, hatte zu diesem Zeitpunkt aber schon 6.000 Euro Schulden und hat die erste Melonensaison nur gearbeitet, um sie abzubezahlen. Aliona war in dieser Zeit alleine mit den beiden  Kindern in Moldau und hatte kaum Geld. Jetzt sind Aliona und Wanja zusammen in Italien und haben die Kinder bei den Großeltern gelassen. Sie verdienen 5 Euro pro Stunde auf dem Melonenfeld. Wenn es regnet, gibt es keine Arbeit und auch kein Geld.

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Aliona und Wanja telefonieren mit ihren Kindern Arhib und Dana, die bei den Großeltern leben.

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Ludmilla in Vicenza. Ludmilla ist vor acht Jahren nach Italien gegangen und hat ihren damals neunjährigen Sohn bei ihren Eltern gelassen. Sie ist ihrem Mann gefolgt, der schon vier Jahre zuvor nach Italien emigriert ist. Nach einigen Monaten fand sie heraus, dass er sie betrog und trennte sich von ihm. Jetzt lebt sie in Vicenza, hat sechs Putzstellen und verdient 8 Euro in der Stunde. Sieben Jahre hatten sich Mutter und Sohn nicht gesehen, inzwischen hat Ludmilla eine Aufenthaltsgenehmigung und hat Slawik nach Italien geholt.

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Carolina, Olga, Sabrina. Vor fünf Jahren ist Tanja nach Italien gegangen. Sie hat einem Schlepper 4000€ bezahlt und arbeitet inzwischen als private Altenpflegerin für 850 €/Monat. Ihre drei Töchter, damals acht, zehn und zwölf Jahre alt, lebten zunächst drei Jahre lang alleine und versorgten sich selbst, später in diversen Familien, denen Tanja Geld schickte. Seit einem Jahr lebt Tanja legal in Italien. Sie hat die beiden jüngeren Töchter zu sich geholt, Olga, die älteste, ist geblieben.

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Olga beim Spülen. Sie musste sehr früh lernen, einen Haushalt zu führen. Sie ist jetzt alleine und geht in der Hauptstadt Kischinau zur Schule.

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